Weihnachten im Hochsommer

artikelblz27122016Artikel vom 27.Dezember 2016 aus der Bergischen Landeszeitung. Von Claus Boelen-Theile:
Weihnachten ist in der kleinen Schule, die der Kürtener Stefan Siemons und sein Team in Itapeceria nahe Sao Paulo leiten, eine wichtige Sache.

Der Instrumentenbauer, der vor anderthalb Jahrzehnten vom bergischen Dorf Olpe nach Brasilien in die Megastadt Sao Paulo auswanderte und dort das Hilfsprojekt Clave de Sol („Violinschlüssel“) begründete, macht sich in den Wochen vor den Festtagen viele Gedanken. Für die 200 Schulkunder, die mittlerweile unterrichtet werden in der Clave, soll Weihnachten ein schöner Abschluss des Jahres sein, auch des Schuljahres überhaupt. In Brasilien wechseln die Schulkunder im neuen Jahr auch in ein neues Schuljahr.
Mit bunt geschmückten Zweigen wird der große Versammlungssaal liebevoll hergerichtet, in dem alle gemeinsam feiern und Weihnachtslieder singen. Fast sieht es aus wie bei einem Richtfest, bei dem bunte Bänder flattern. Der Weihnachtsbaum ist aus grünem Krepppapier gebastelt, und der schwarze Weihnachtsmann trägt einen wallenden weißen Rauschebart.
In Brasilien ist im Dezember Hochsommer, gesungen wird also in T-Shirt und Shorts bei 30 und mehr Grad im Schatten. Kleine Geschenke gibt es für alle Kinder, individuell ausgesucht von den Pädagogen der Schule.

-Eltern können sich keine Geschenke leisten-

„Die Bedürfnisse des Kindes sind entscheidend“, erklärt Wolfgang Siemons, der Bruder von Stefan, der von Kürten aus die Hilfsorganisation unterstützt. Meist sind es Süßigkeiten und Spielzeuge, die bei der Bescherung am Laubzweig überreicht werden. Große Augen machen die Kinder, denn ihre Eltern sind arm und können es sich nicht erlauben, Weihnachtsgeschenke für den Nachwuchs zu kaufen.
Die persönlichen Geschenke sind wichtig, verlost wird keines der Präsente. Dass es überhaupt Geschenke geben kann, ist dem großen Einsatz der Clave-Mitarbeiter zu verdanken. Sie bitten die Geschäftsleute von Itapeceria, dem Vorort von Sao Paulo, um Gaben für die Kinder.
Weil Musik ein wichtiger Pfeiler des schulischen Angebots ist wird bei der Weihnachtsfeier auch gemeinsam musiziert. Die Clave hat mittlerweile mehrere Musikgruppen, in denen die Kinder nach ihrer Leistung unterrichtet werden. Die Klänge, die im Sommer Brasiliens angestimmt werden, sind in Deutschland gut bekannt, „Stille Nacht“ und „O du fröhliche“ zum Beispiel. Die Wochen vor der Weihnachtsfeier werden genutzt, um im Unterricht die Lieder einzustudieren.
Das Hilfsprojekt Clave de Sol ist nach wie vor eines, das den ganzen Einsatz von Stefan Siemons erfordert. Die Familien der Kinder müssen überzeugt werden, ihre Kinder zur Clave zu bringen. Dazu kommt die hohe Kriminalität in der Millonenstadt. Die Strukturen für die Schüler sind über die Jahre auf feste Fundamente gesetzt worden. Aber Hürden bleiben, wie Stefan Siemons bei seinem jüngsten Besuch in der bergischen Heimat berichtete: „Ende vergangenen Jahres ist plötzlich der Kunstraum abgesackt.“
Über Monate musste die Clave improvisieren beim Unterricht, ihre Angebote einschränken. Mit viel Arbeitseinsatz sei es in diesem Jahr gelungen, den Raum wieder herzurichten und sogar zu erweitern. Parallel machten sich Handwerker daran, den Vorplatz an der Schule zu pflastern, bislang eine Gefahrenquelle für die Kinder. Wolfgang Siemons: „Inzwischen konnten die Arbeiten abgeschlossen werden. Die Kinder und Jugendlichen haben den neuen Vorplatz bereits gemeinsam mit den Eltern und den Erziehern der Clave mit einem feierlichen Akt eingeweiht.“ Diese kleinen Schritte lassen Stefan Siemons hoffnungsvoll in die Zukunft schauen, trotz mancher Beschwernisse.

Finanziell unterstützt die Schweizer Stiftung Las rosas rojas (Die roten Rosen), das deutsche Hilfsprojekt action five und das Kindermissionswerk das Projekt, zusätzlich zu den wichtigen Spenden, die aus dem Bergischen kommen.
Die Stiftung aus der Schweiz, die Weisenhäuser fördert, gab 6.000 Euro; Stefan Siemons hofft, dass mit ihr eine Kooperation über längere Zeit gelingt. Bei der Clave wird von einem „Meilenstein“ gesprochen. Auch das in Kürten und Wipperfürth (Oberberg) beheimatete Alphabetisieruns-Hilfswerk Opam Deutschland ist einer der Förderer der Clave.
Die 200 Kinder, die in den Schulräumen unterrichtet werden, erhalten Unterstützung in Rechnen, Lesen, Schreiben und Englisch. In Brailien gibt es eine Schulpflicht, dennoch verlassen viele Kinder die Schule als Analphabeten. Ihnen droht ein Leben in Armut, ohne Perspektive, ohne Beruf.
Neben dieser Kernförderung flankiert Stefan Siemons sein Projekt mit zahlreichen Kulturaktivitäten: Unterricht zur Musik wird gegeben, Kreativität wird im Kunstunterricht gelernt, die Clave hat eine Theatergruppe und Capoeira-Tänzer – Capoeira vereint als brasilianischer Tanz Musik, Rhythmus, Akrobatik und afro-brasilianische Kultur.
Und es gibt das Blasorchester der Clave de Sol. In diesen Wochen hatte es durchaus auch Weihnachtslieder im Repertoire.